Was jeder Kampfsportler über Selbstverteidigung wissen muss

Sich bei einem Angriff erfolgreich wehren zu können ist für viele Kampfsportler nicht das einzige Ziel ihres Trainings. Wer will schon unzählige Stunden investieren für eine Situation, die wahrscheinlich nie eintreten wird. Kampfkünste  bieten so viel mehr: Fitness, Meditation in Bewegung, Spass, Ausgleich zum Alltag, Freunde treffen - die Gründe, regelmässig zu trainieren sind letztlich sehr individuell.

 

Trotzdem ist Selbstverteidigung ein wesentlicher Aspekt vieler Kampfsportarten. Und sollte der Fall der Fälle eintreten, solltest du besser bereit sein. Körperliche Gewalt ist brutal, hässlich und trifft dich häufig unvorbereitet. Damit deine Chancen in einer solchen Situation einigermassen intakt bleiben, solltest du dich vorher damit auseinandersetzen.

 

Was ist Selbstverteidigung?

 

Als Selbstverteidigung gilt, wenn du gegen deinen Willen kämpfen musst. Wenn du dich dafür entscheidest, eine Meinungsverschiedenheit mit den Fäusten auszutragen, handelt es sich nicht um Selbstverteidigung (sondern um Dummheit). In einer Selbstverteidigunssituation gibt es keinen Gewinner. Auch wenn du den Kampf gewinnst, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass du dabei selber verletzt wirst. Zudem steht dir möglicherweise ein Gerichtsverfahren bevor, in dem du deine Unschuld beweisen musst. Denk daran, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass jemand den Vorfall gefilmt hat. Ausserdem musst du mit Racheakten des Besiegten oder seiner Freunde rechnen. Gewonnen hast du dann, wenn du zufrieden und gesund zu deiner Familie heimkehrst, also wenn du den Kampf vermeiden konntest.

 

Was uns Kenshiro Abbe über Selbstverteidigung lehrt

 

Kenshiro Abbe war ein hochtalentierter Budo-Ka, der in den 50er-Jahren Aikido in Grossbritannien einführte. Während seiner Zeit in London trug sich folgende Episode zu: Eines Abends war Kenshiro Abbe zu Fuss auf dem Heimweg, als er in einer dunklen Seitenstrasse drei junge Männer herumlungern sah. Als er sich ihnen näherte, stellten sie sich ihm in den Weg. " Gib uns dein Geld, oder wir verprügeln dich", sagte der Anführer der Drei. Kenshiro Abbe musterte die Männer. Dann zog er seine Brieftasche aus der Tasche und warf sie zwischen sich und die Angreifer auf die Strasse. "Ich bin bereit, für diese Brieftasche zu sterben. Was ist mit euch?", sagte er. Die Möchtegern-Räuber schauten erst ihr vermeintliches Opfer an, dann tauschten sie untereinander Blicke aus und entschlossen sich eilig zum Rückzug. Kenshiro Abbe packte seine Brieftasche wieder ein und ging ruhig nach Hause.

 

Dies ist ein herausragendes Beispiel für die Entschlossenheit eines Samurai, nach dessen Idealen Kenshiro Abbe ausgebildet worden war. In diesem Fall hatte Kenshiro die Situation richtig eingeschätzt und konnte die Eskalation vermeiden.

 

Für uns aber sieht die Sache etwas anders aus. Nicht jeder ist ein Kampfkunst-Meister, der sich zutraut, mit drei Angreifern gleichzeitig fertig zu werden. Auch nach jahrelangem Training ist es übrigens nicht zu empfehlen, sich einen Kampf mit mehreren Gegnern zu liefern. Zudem müssen wir damit rechnen, dass die Angreifer bewaffnet sind, und dass noch ein paar weitere Freunde von ihnen dazukommen werden. Eine sicherere Strategie würde eher so aussehen:

  • Vermeide es, nachts in einsamen Strassen unterwegs zu sein.
  • Wenn du verdächtige Typen herumlungern siehst, wechsle die Strassenseite oder mach einen Umweg.
  • Wenn du die Konfrontation nicht vermeiden kannst, dann suche einen Ausweg, ohne zu kämpfen.

Bist du bereit, für deine Brieftasche zu sterben? Ich nicht. Warum sollte ich? Ich trage nie viel Bargeld bei mir, und es kostet mich einen Anruf, um meine Kreditkarte sperren zu lassen. Also warum sollte ich dafür mein Leben riskieren?

 

Die ultimativen Selbstverteidigungs-Tipps für Kampfsportler:

 

Jenseits von praktischen Techniken für alle möglichen Szenarien ist deine Einstellung entscheidend. Hier sind die wichtigsten Tipps:

 

Überlege dir rechtzeitig, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

Im Ernstfall hast du keine Zeit mehr zum Überlegen. Sei dir im Klaren darüber, wofür du kämpfen würdest.

 

Schärfe deine Aufmerksamkeit.

Beobachte ständig deine Umgebung und erkenne mögliche Gefahren frühzeitig. Das hat nichts mit Verfolgungswahn zu tun, sondern mit gesundem Überlebensinstinkt und Eigenverantwortung.

 

Lerne zwei oder drei effiziente Techniken, die du im Ernstfall einsetzen kannst.

Bei einem Angriff wechselt das Betriebssystem deines Körpers in den "Kampf-oder-Flucht-Modus". Dadurch lassen deine feinmotorischen Fähigkeiten nach. Komplizierte Techniken kannst du vergessen. Hingegen solltest du einfache, 1000-fach trainierte Techniken abrufen können. Such dir deine Favoriten aufgrund deiner Stärken und Physiologie aus, und übe sie immer wieder. Empfehlenswert sind z. B. linke und rechte Haken oder Ellbogenstösse. Lerne auch, welche anatomischen Schwachstellen du angreifen musst, um die grösste Wirkung zu erzielen.

 

Gehe immer von einem grösseren, stärkeren Gegner. aus

Auf der Strasse gibt es keine Gewichtsklassen. Mögliche Angreifer suchen sich meistens ein schwächeres Opfer aus. Gleiche deine körperliche Unterlegenheit mit Technik und Überraschunsmoment aus.

 

Rechne immer mit mehr als einem Gegner.

Auch wenn du nur einen Gegner siehst, können jederzeit weitere dazukommen.

 

Waffen sind sehr verbreitet.

Auch wenn dein Gegner unbewaffnet scheint, musst du damit rechnen, dass er vielleicht ein Messer oder eine andere Waffe trägt. Achte auf die Hände: Hat er eine Hand hinter dem Rücken oder in der Tasche? Sobald Waffen ins Spiel kommen, sinken deine Chancen auf ein Minimum.

 

Selbstverteidigung und das Gesetz - Wann und wie darf ich mich verteidigen?

 

Diese Informationen beziehen sich auf die Rechtslage in der Schweiz. In anderen Ländern kann die Ausgangslage unterschiedlich sein.

 

Im Strafgesetzbuch steht unter Artikel 15 3:

 

Rechtfertigende Notwehr

Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren.

 

Das Schlüsselwort hier ist "angemessen". Die Grenzen der Notwehr sind überschritten, wenn du deinen Gegner unnötig verletzt. In diesem Fall müsstest du glaubhaft machen können, dass du in der Aufregung über den Angriff gehandelt hast. Sollte vor Gericht zur Sprache kommen, dass du Kampfsportler bist (und du kannst sicher sein, dass es dazu kommen wird), geht der Richter möglicherweise davon aus, dass du den Kampf problemlos unter Kontrolle hattest. Falls dein Gegner verletzt oder getötet wurde, wirst du einen schweren Stand haben. Viele schwere Verletzungen bei Schlägereien entstehen übrigens durch den Sturz zu Boden, nachdem jemand ausgeknockt wurde und nicht mehr bei Bewusstsein ist. Wenn du jemanden KO schlägst, besteht immer die Möglichkeit, dass er sich beim Sturz tödlich verletzt, wenn er mit dem Kopf unkontrolliert aufschlägt.

 

Die zweite Runde vor Gericht kann sehr kompliziert und schwierig werden. Ein Grund mehr, gar nicht erst in eine solche Situation zu geraten und wenn irgend möglich zu vermeiden.

 

 

Sei ein Vielfrass!

 

In einem seiner Bücher vergleicht Selbstverteidigungs-Legende Marc MacYoung die erfolgreiche Überlebensstrategie mit den Eigenschaften des Vielfrasses. Dieses clevere Raubtier aus der Familie der Marder hat in der Natur kaum Feinde. Geschickt geht er Auseinandersetzungen aus dem Weg. Sollte er dennoch angegriffen werden, ist er ein hervorragender Kämpfer, der viele stärkere Tiere das Fürchten lehrt und meistens als Sieger hervorgeht. Wir können vom Vielfrass lernen, uns aus Ärger herauszuhalten und nur dann zu kämpfen, wenn es unbedingt sein muss. Für diesen Fall aber sind wir vorbereitet.

 

Jeder vermiedene Kampf ist ein gewonnener Kampf. Ein erfolgreicher Kämpfer ist nicht, wer auf der Strasse viele Gegner besiegt hat, sondern wer clever genug war, gar nicht erst in eine gefährliche Situation zu geraten.

 

Pass auf dich auf!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ru@Di (Dienstag, 05 September 2017 09:48)

    Genau. Gut gesprochen. Merci vm. �